Von Gerste und Geschichte: Wie kommt der Otter ins Bier?

Manchmal wirft die Arbeit bei MashCamp die spannendsten Fragen auf – etwa dann, wenn man sich genauer mit den Produkten beschäftigt, die täglich durch unsere Hände gehen. Unser hauseigener Bierhistoriker Stefan „Sauppi“ Saupp stellte sich dabei eine besonders interessante: Wie kam das berühmte englische Malz Maris Otter eigentlich zu seinem Namen? Was als einfache Recherche begann, entpuppte sich als spannende Entdeckungsgeschichte voller überraschender Details.

Alles ganz einfach, oder doch nicht?

Sucht man online nach Maris Otter, stößt man schnell darauf, dass es sich um eine Gerstensorte handelt. Diese wurde ab 1966 angebaut und im englischen Plant Breeding Institute gezüchtet. Der erste Teil des Namens – „Maris“ – bezieht sich auf den Standort eben jenes Instituts in der Maris Lane in Trumpington, England. Wie kommt aber diese Straße zu ihrem Namen? Und wieso wurden Gerstensorten nach ihr benannt? Und was hat es mit dem Otter auf sich? Diese Erklärung ließ jedoch viele Fragen offen.

Die Maris Lane

Diese kleine Verbindungsstraße liegt in Trumpington, etwa 2 km südlich von Cambridge. Wie wir herausfanden, lebte und arbeitete an dieser Stelle die Farmerfamilie Maris. Über vier Generationen, etwa von 1770 bis 1867, betrieb die Familie Maris hier Landwirtschaft. Obwohl die Familie schließlich ausstarb, blieb die Liegenschaft mit dem darauf stehenden Haus den Einheimischen als „Maris Farm“ im Gedächtnis. Mit der Zeit wuchs Trumpington zu einem großen Vorort von Cambridge heran. Als dann in den 1950er-Jahren ein Name für die Straße festgelegt werden musste, entschied man sich im Andenken an die einst dort lebende Familie für „Maris Lane“.

Das Plant Breeding Institute (PBI)

Gegründet im Jahr 1912 als Institut der University of Cambridge bekam das PBI die Aufgabe, landwirtschaftlich relevante Zucht- und Kreuzungserfolge an Nutzpflanzen zu erforschen. Besonders interessierte man sich hierbei für Kartoffeln, Erbsen, Weizen, Hafer und: Gerste.

Die Forscher kreuzten sozusagen alles, was ihnen am Feld begegnete, und sie lieferten schon rasch erstaunliche Ergebnisse. Die neuen Sorten waren oft ertragreicher oder widerstandsfähiger als ihre Vorgängergenerationen. Damit neue Sorten an Saatgut bei den Farmern vermarktet werden konnten, brauchte es griffige Namen.

In der Anfangszeit griff man dabei oft auf Bezeichnungen mit dem Anfangsbuchstaben „P“ zurück – in Anlehnung an das PBI. So entwickelte man z. B. die Gerstensorten Proctor und Pioneer.

1955 übersiedelte das Institut von Cambridge nach Trumpington in die Maris Lane. Der neue Direktor, George Douglas Hutton Bell, führte eine neue Namensgebungspraxis ein.

Der erste Teil des Namens sollte an die Farmerfamilie Maris erinnern, die zuvor an dieser Stelle die Landwirtschaft betrieb. Den zweiten Namensteil konnte das Forschungsteam frei auswählen. So gibt es auch heute noch die Kartoffelsorte Maris Piper (eine der meistangebauten Sorten Englands), weil das Kind eines Teammitglieds diesen Namen mochte.

Jetzt kommt der Otter ins Spiel!

In den 1960er-Jahren entwickelte sich am PBI die Tradition, einige der neu gezüchteten Sorten nach Wassertieren zu benennen. Beispiele dafür sind die Weizensorte „Maris Widgeon“ (engl. Pfeifente) und die Hafersorte „Maris Osprey“ (engl. Fischadler).

1966 gelang auch bei der Braugerste ein Züchtungserfolg. Die neue Sorte, die gezielt als Braugerste gezüchtet wurde, lieferte sicheren Ertrag, gute Braueigenschaften und ließ sich ausgezeichnet vermälzen.

Ein Name für diese Gerste musste gefunden werden. Maris – für die Maris Lane – war fix. Und welches Tier sollte mit seinem Namen als Pate dienen? Die Wahl fiel auf den Fischotter. Die Gerste sollte also Maris Otter heißen!

Die wechselhafte Erfolgsgeschichte von Maris Otter

In den 1970er-Jahren wurde Maris Otter zum führenden Braumalz englischer Biere. Der feine, nussige und toastige Geschmack sorgt für den heute typischen Geschmack der daraus gebrauten Ales. Ende der 1980er war jedoch kaum mehr reines Maris Otter Saatgut zu erhalten. Neuere Gerstensorten drohten, diese Sorte endgültig vom Markt zu verdrängen.

Die Gerstenhändler Tony Banham und Robin Apple sicherten sich die Rechte an der Sorte Maris Otter und starteten eine landesweite Promotion-Tour. Sie wollten das Aussterben dieser nun als außergewöhnliche Spezialität rangierenden Sorte nicht akzeptieren. Unterstützt wurden sie dabei von der „Campaign for Real Ale“ (CAMRA). Es dauerte aber fast 20 Jahre, bis die Sorte wieder den früheren Stellenwert erreichen konnte.

Die Nachfrage nach diesem besonderen Malz stieg nicht zuletzt durch die Craftbeer-Bewegung. Beim jährlichen Great British Beer Festival und Wettbewerb, der von CAMRA organisiert wird, stellte sich nämlich heraus, dass unter den Gewinnerbieren regelmäßig Maris Otter als Zutat auftauchte.

Maris Otter: Gerste mit Geschichte – vom Familiennamen zum Straßennamen, vom Fischadler zum Otter. Und von der Gerste zu einem weltweit geschätzten und beliebten Braumalz.

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